Junger Southern Resident Orca Scarlet (J50) vermutlich verstorben
Ich habe eine große Schwäche für Außenseiter. Geschichten über sie packen mich und ich fiebere mit ganzem Herzen mit. Ich freue mich, wenn sich die Dinge zum Positiven wenden. Leider ist die Geschichte von Scarlet (J50) eine Außenseiter-Geschichte ohne Happy End – anders als im Film. Es ist die wahre Geschichte der bedrohten Southern Resident Orcas, die vor unseren Augen aussterben. Am 13. September bestätigte das Center for Whale Research (CWR) unsere schlimmsten Befürchtungen – Scarlet wird noch immer vermisst und ist vermutlich tot. Als die Mitglieder ihrer Gemeinschaft, die J-, K-, und L-Pods, zur großen Versammlung der Southern Resident Orcas in ihrem Sommerhabitat zusammengetroffen sind, war Scarlet nicht dabei.
Ich denke, ihr Außenseiter-Status ist mit ein Grund dafür, warum Scarlet mir und allen, die die Gemeinschaft der Southern Resident Orcas lieben und ihr Leben verfolgen, so viel bedeutet hat. Nicht bloß, weil sie in einer Zeit geboren wurde, in der es besonders düster für diese einzigartige Orca-Familie aussieht. Sie war Teil eines „Babybooms“ und Grund zur Hoffnung, dass die schwierige Lage der Population sich ändern könnte.
Scarlet wurde in eine typische Orca-Familie hineingeboren, die so vertraut ist, dass zunächst niemand sagen konnte, wer ihre Mutter war – bis Forscher bestätigten, dass sie die Tochter von J16 (Slick) ist. Es wurde vermutet, dass Slick bereits über ihrem gebärfähigen Alter lag. Die Geburt verlief allem Anschein nach schwierig und Forscher vermuteten, dass Scarlet mithilfe von „Geburtshilfe“ auf die Welt kam. Darauf deuteten die Zahnabdrücke anderer Orcas auf ihrer Rückenflosse hin, die schließlich auch zu ihrem Namen führten: Scarlet [Scar = Narbe]. Von Beginn an überwand Scarlet schnell die schwierigen Umstände ihrer Geburt und erwies sich als unabhängiger, unbändiger, temperamentvoller kleiner Orca. Lokale Naturforscher und Wissenschaftler erzählten oft Geschichten darüber, wie Scarlet mehrmals hintereinander in die Luft sprang oder wie sie alleine loszog, um eine für sie neue Welt zu erkunden. Jeder, der von Scarlet sprach, tat dies mit einem Lächeln auf dem Gesicht; man konnte nicht anders, als die Freude zu verspüren, die dieser junge Wal versprühte.
Leider wurden in den letzten Monaten wieder alle Augen auf Scarlet gerichtet, da der dreieinhalbjährige Orca in schlechtem Zustand zum Sommerhabitat seiner Familie zurückkehrte und dieser sich im Laufe des Sommers noch verschlechterte. Trotz ihrer Lebhaftigkeit und ihrer munteren Einstellung schaffte Scarlet es nicht, zu wachsen und blieb außergewöhnlich klein – Wissenschaftler beschrieben ihre Größe als die einer einjährigen. Sie verlor im Sommer an Körperfett, magerte stark ab und blieb oft hinter ihrer Familie zurück. Sie kämpfte immer wieder darum, Schritt zu halten.
Ein beispielloses Unterfangen wurde gestartet, um Scarlet zu helfen. Im Rahmen einer Partnerschaft zwischen den USA und Kanada wurde mit der Hilfe von Einheimischen, Rettungsorganisationen und Wissenschaftlern ein ambitionierter Plan zur Behandlung von Scarlet entwickelt, der auch den Versuch beinhaltete, sie mit Lachs zu versorgen. Das Team versuchte herauszufinden, warum sich Scarlets Gesundheitszustand verschlechterte, während ihre Familienmitglieder – Mutter Slick (J16), Bruder Mike (J26) und die Schwestern Alki (J36) und Echo (J42) – gesund schienen. Basierend auf den Ergebnissen aus der Entnahme von Atem- und Stuhlproben, Drohnenaufnahmen aus der Luft und visuellen Beurteilungen versuchte das Team schließlich, Scarlet mit Antibiotika und Entwurmungskuren zu behandeln, um mögliche Bakterieninfektionen und Parasiten zu bekämpfen.
Die National Oceanic and Atmospheric Administration (NOAA) hatte damit begonnen, sich auf einen Lebend-Fang von Scarlet vorzubereiten und beabsichtigte, sie in das eingezäunte Areal zu bringen, das ursprünglich für den Northern Resident Orca Springer eingerichtet worden war, der 2002 allein und außerhalb seines normalen Verbreitungsgebietes gefunden wurde. Ein sehr umstrittener Vorschlag; Scarlet zu fangen hätte es dem Einsatzteam ermöglicht, sie direkt zu untersuchen und möglicherweise die Ursache ihrer Krankheit und eine passende Behandlung zu bestimmen. Aber der Stress des Gefangenwerdens hätte für Scarlet tödlich enden und erhebliche Auswirkungen auf ihre Familie haben können. Die Southern Residents sind Überlebende einer schrecklichen Ära von Wildfängen, und viele Menschen in der Region wollten nicht noch einmal einen Orca hinter Netzen sehen. Um Input von der betroffenen Öffentlichkeit zu erhalten, hatte NOAA für das Wochenende zwei Treffen im Bundesstaat Washington geplant.
NOAAs Plan für einen Lebend-Fang zum Zweck einer Behandlung wäre nur dann vorangeschritten, wenn Scarlet gestrandet oder von ihrer Familie getrennt worden wäre, wobei eine Trennung nicht näher definiert wurde. Scarlet lag zeitweise einen Kilometer oder sogar noch mehr hinter ihrer Familie zurück. Doch selbst über größere Entfernungen konnte sie immer noch akustisch mit ihrer Mutter und ihren Geschwistern kommunizieren. Der Plan war, nach einer Bewertung von Scarlets Zustand entweder eine Behandlung mit dem Ziel einer späteren Rückkehr zu ihrer Familie zu beginnen, oder – für den Fall, dass sie zu krank zum Überleben gewesen wäre – zu versuchen, sie wieder mit ihrer Familie zu vereinen, damit sie in Frieden sterben kann. Die schwierige Entscheidung kam jedoch zu spät für Scarlet, die hoffentlich ihre letzten Stunden mit ihrer Familie verbracht hat, ungestört von Menschen.
Die Southern Resident Orcas stehen einem komplizierten, eng verwobenen Netz aus existenziellen Bedrohungen gegenüber. Das Hauptproblem ist Nahrungsmangel, insbesondere ein Mangel an Königslachs, der alle Orcas dem Risiko von Ernährungsstress aussetzt. Verunreinigungen in ihrer Umgebung können ihr Fortpflanzungs- und Immunsystem schwächen und den Lachs töten, den sie so dringend benötigen. Lärm und Störungen durch kommerzielle und industrielle Aktivitäten im Meer machen es den Orcas schwer nach Futter zu suchen, sich zurechtzufinden und miteinander zu kommunizieren. Jede dieser Bedrohungen verstärkt die Auswirkungen der jeweils anderen, und die Kombination hat wahrscheinlich zu Scarlets tragischem, frühem Tod beigetragen.
Heute trauere ich um den Verlust von Scarlet, meinem Liebling der „Babyboom“-Orcas, der von so vielen bewundert wurde. Es war ein unglaublich schwieriger Sommer für die Orcas, beginnend mit einer besonders späten Rückkehr in ihr Sommerhabitat, dem Verlust eines jungen, erwachsenen Orca-Männchens, dem Tod eines neugeborenen Babys, das von seiner Mutter Tahlequah (J35) herzzerreißend betrauert wurde, und dem Verschwinden von Scarlet. Mit ihrem Verlust befinden sich die Southern Resident Orcas nun auf dem prekären Populationslevel von nur noch 74 wildlebenden Orcas.
Aber aus der Trauer entsteht auch die erneute Entschlossenheit, alles Mögliche zu tun, um zur Rettung dieser gefährdeten Orca-Population beizutragen, und jeden anderen darum zu bitten, dasselbe zu tun. Letztendlich entstehen die Bedrohungen der Orcas durch menschengemachte Veränderungen an ihrer Umwelt – wir haben ihre Flüsse gestaut, ihre Lachse getötet und ihr Zuhause mit Chemikalien und Lärm belastet. Es liegt nun an jedem einzelnen von uns, Maßnahmen zu ergreifen, um diese Veränderungen rückgängig zu machen und einen Pfad zu ebnen, auf dem wir Seite an Seite mit unseren Orca-Nachbarn leben können.
Das erfordert mutige, tiefgreifende Veränderungen in der Politik und in der Nutzung der Umwelt – sowohl im pazifischen Nordwesten, den die Orcas ihr Zuhause nennen, als auch in den USA und in Kanada. Persönliche Veränderungen in unserem täglichen Leben sind auch Teil davon. Selbst wenn Sie weit weg vom Meer leben, haben Ihre Entscheidungen direkten Einfluss auf die Orcas und Lachse. Der Verzicht auf Einwegplastik oder der Kauf von biologisch abbaubaren Reinigungsprodukten sorgt für eine bessere Wasserqualität. Der Lachs ernährt wiederum die Orcas und hilft ihnen dabei, zu überleben. Seien Sie ein gutes Vorbild für andere! Eine Veränderung der Art und Weise, wie wir mit unserer natürlichen Umgebung interagieren, ist das, was die Orcas letztendlich für ein langfristiges Überleben benötigen.
Was wir tun: WDC ist eine aktive Stimme in der Washington State Task Force, die über Maßnahmen auf staatlicher Ebene entscheidet, um Bedrohungen für die Southern Resident Orcas und ihre Hauptnahrungsquelle (den Lachs) zu bekämpfen. Wir haben an Sitzungen teilgenommen, Informationen und Ressourcen an die Task Force weitergegeben und Kommentare im Namen von WDC und zusammen mit unseren Partnern in der Orca Salmon Alliance abgegeben. Wir ermutigen Menschen, die sich mit den Southern Resident Orcas beschäftigen, sich noch stärker für die Orcas einzusetzen. Unsere laufenden Kampagnen Don’t Let Orcas Be Dammed und MigrationNation konzentrieren sich auf die Erholung des Lachsbestandes durch die Wiederherstellung von Flüssen und Lebensräumen. Wir kämpfen dafür, den kritischen Lebensraum der Orcas zu erweitern, die Auswirkungen maritimer Aktivitäten zu verringern und das Gesetz über gefährdete Arten und das Gesetz zum Schutz von Meeressäugern aufrechtzuerhalten. Zwei Gesetze, die lebenswichtigen Schutz für Orcas und Lachse bedeuten.